Was ist Homophobie?
Auch wenn keine übereinstimmenden harten Zahlen aufgrund schwankender Studienergebnisse existieren, ist davon auszugehen, dass etwa 3-10% aller Menschen zu der Gemeinschaft der ausschließlich gleichgeschlechtlich liebenden gezählt werden können, rund weitere 10-25% bewegen sich zwischen den Polen von Homo- und Heterosexualität, sind also bisexuell. Hinzu kommen die kaum bis gar nicht durch offizielle Zahlen festgehaltenen Trans- und Intersexuellen und Transgender. Mit eingerechneten Dunkelziffern ist davon auszugehen, dass ca. jeder Fünfte zu einer der erwähnten Gruppen zählt.
Geschlechtliche und sexuelle Identität ist also nicht allein auf die Kategorien und das Zusammenspiel von Mann und Frau beschränkt, genauso wenig wie die Thematik diesbezüglicher Diskriminierung nicht die einer kleinen Minderheit ist. Print- und Digitalmedien könnten unter Zuhilfenahme von Einzelschicksalen von Zeit zu Zeit den Eindruck erwecken, dass die queere Gemeinschaft längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, doch sind Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle (LSBTI) und Transgender auch heute noch erheblichen öffentlichen und institutionellen Repressalien ausgesetzt.
Der Grundstein für diese Diskriminierungen wird nicht selten bereits frühzeitig in der menschlichen Entwicklung gelegt. In einem zumeist heteronormativen Umfeld aufwachsend, lernen Kinder und Jugendliche oft nur ein einseitiges Konzept von Partnerschaft und Sexualität kennen. In Kindergärten und Schulen wird aufgrund von Befangenheit, Unkenntnis, Angst vor Konfrontation und mangelnder Qualifikation die Thematik umgangen (passiver Charakter von Homophobie) oder zumindest nicht gegenstandsgerecht behandelt. Das Verschweigen oder auch nicht Ansprechen der Pluralität sexueller und geschlechtlicher Identitäten gestaltet das Lernen eines adäquaten Umgangs mit ihnen zumindest auf schulischem Wege schwierig und die individuelle Positionierung häufig unreflektiert. So verwenden Jugendliche bspw. das Wort „schwul“ als Bezeichnung für nervende oder als schlecht empfundene Dinge und „Schwuchtel“ ist das meist verwendete Schimpfwort unter ihnen. Zudem fühlen sich betroffene durch die „don't ask, don't tell“ Praxis häufig ausgegrenzt, allein gelassen und hilflos. Laut der 2010 durchgeführten EMIS-Studie, bei der in Deutschland 54.000 schwule und bisexuelle Männer befragt wurden, gaben 13% an Opfer körperlicher Gewalt geworden zu sein, 41% erlebten Bedrohungen und Beleidigungen. Diese psychischen und sich mitunter in physischen Feindlichkeiten ausdrückenden Antipathien (aktiver Charakter von Homophobie) sind oftmals auch Ausdruck und Ergebnis von passiver Homophobie. Sie können zu verheerenden Folgen für die einzelnen aber auch für die Gesamtgruppe führen. So ist bspw. die Selbstmordrate unter homosexuellen Jugendlichen rund viermal so hoch wie die unter gleichaltrigen Heterosexuellen. Doch nicht nur in jungen Jahren sehen sich die Betroffenen einer ständig wiederkehrenden Konfrontation und den damit verbundenen Strapazen ausgesetzt, vielmehr betreffen sie ihre gesamte Biographie. Schließlich ist Homophobie tief verankert im öffentlichen Gedächtnis (Vorurteile, falsche Schlussfolgerungen, antiquierte Moral- und Wertevorstellungen) und fester Bestandteil von etablierten gesellschaftlichen Strukturen (Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, Ämter, Kirchen, Organisationen, Vereine etc.).
Um den strukturellen Wurzeln der Diskriminierung und Verurteilung von Homo-, Bi-, Trans-, Intersexuellen und Transgendern entgegenzutreten, den damit verbundenen Kreislauf zu unterbrechen und einem zukünftigen Neuentstehen vorzubeugen, ist eine gesamtgesellschaftliche Neuorientierung notwendig, die es jedem Individuum ermöglicht seine Identität frei zu entwickeln und sein Leben in einem toleranten und wertschätzenden Umfeld zu gestalten.